LEBEN

Bereits im Iran startete Tuserkani mit dem laufenden Zyklus „Lieder der Revolte –  composition in progress“, chronologischen Gesängen für Kommunen, einem musikalischen Kommentar der politischen Weltereignisse in ständiger Fortsetzung. 1961 legte der Komponist im Iran mit „Aegritudo“ sein erstes Klavierwerk vor. Nach seiner Flucht komponierte Tuserkani in Wien eine Reihe von Miniaturen sowie den  „Apokalyptische Choral“.  Dieses Chorwerk inkludiert auch Solostimmen und wird von einem Kammerorchester begleitet.
 

1977 folgte mit der „Notalgie des Gefangenen I“, das erste elektroakustische Werk Tuserkanis, das er zwei Jahre später in einer überarbeiteten Version vorstellte, die sich auf der 1999 vom ORF produzierten CD „Resistance“ wiederfindet. Auf dieser CD nimmt die Trilogie „Fasciophonie I“, bestehend aus  "Fasciophonie" (Überfliegen), "Im Namen der Liebe" und "Pornophonie" eine wichtige Rolle ein. Ebenfalls festgehalten ist auf dieser CD ist das 1980 veröffentlichte Musiktheater „Homo Instrumentalis“ für Solostimmen, Orchester und ELAK-Zuspielung. 

Während seiner Studienzeit legte Tuserkani laufend neue Kompositionen vor. Ab 1975 versuchte er als freischaffender Komponist sein Leben zu gestalten, was ihm nur hart an der Existenzgrenze gelang. Schließlich bewarb er sich um eine Teilzeitstelle als Musikpädagoge in Wien und wurde 1980 im Realgymnasium in der Schopenhauerstraße tätig. Doch aufgrund starker Auffassungsunterschiede zwischen der Direktion und seinem revolutionären Unterricht, wechselte er bald vom konservativen Währing in das fortschrittlichere Polgargymnasium in der Donaustadt, wo er sich rasch gut aufgehoben fühlte. 

Ab 1980 nahm die Bekanntheit Djahan Tuserkanis im Kreis der Avantgarde-Musikinteressierten stetig zu. Einige seiner Werke wurden mit Preisen ausgezeichnet und sie kamen in bekannten Konzertsälen in Europa, Nordafrika, Asien und Südamerika zur Aufführung. 

Zu seinen Preisen und Auszeichnungen zählen  u.a. 1981 der 1. Preis des Musikprotokolls des Steirischen Herbstes, 1997 die Nominierung durch die IGNM – Internationale Gesellschaft für Neue Musik – für die Weltmusiktage in Seoul, 1998 der 2. Preis der „Prof. Ivan Spassov Foundation“ Bulgarien, 1999 kam Tuserkani in die Auswahl der österreichischen Jury für die Weltmusiktage in Rumänien, 2000 mit dem „Klanggesetz“ der 1. Preis beim Wettbewerb „Initiative Minderheiten“, 2003 erfolgt von der IGNM Österreich die Nominierung für die Weltmusiktage in Laibach  und 2017 erzielt „Momina Bibi“ den 2. Preis beim Wettbewerb „Stopp Ramstein“. 

Besonders fruchtbar war die Zusammenarbeit mit dem 1. Frauen-Kammerorchester Österreichs. Von diesem bekam er den Auftrag das Werk „Tragiphonie - Fragen nach Tschernobyl“ nach einem Text von Erich Fried zu komponieren. Mit dem 1. Frauen-Kammerorchester wurde die Tragiphonie dann 1994 uraufgeführt.

Tuserkanis Projekte wurden u.a. vom Unterrichtsministerium, der Gemeinde Wien, Greenpeace, Amnesty International, Global 2000 und Anti-Atom International gefördert. Neben dem Auftrag vom 1. Frauen-Kammerorchester erhielt er Kompositionsaufträge von der IGNM, den Wiener Philharmonikern, dem Ensemble 2001 und dem ORF.

Neben der Kraft seiner Musik, ist es vor allem der aufrüttelnde Inhalt, der die Menschen bewegt. Djahan Tuserkani bezeichnet sich selbst lieber als „Schöpfer von politischem Musiktheater“ denn als Komponist von Avantgardemusik. Weil Musik abstrakt ist, sind die Texte in seinen Werken immer besonders wichtig. Er selbst schreibt selbst viele Texte zu seinen Kompositionen, arbeitet aber vor allem auch erfolgreich mit politisch engagierten Dichter:innen zusammen, wie Erich Fried (in „Fragen nach Tschernobyl“, „Schwächer“, „Höre Israel!“), Peter Turrini (in der Trilogie Fasciophonie I drei Gedichte aus dem Band „Ein paar Schritte zurück“), Gerhard Anton Roth (in „Das Klanggesetz“ und im Film „Slowenen, Partisanen, Hochverräter“), Georg Grosz (in „Ihr Lumpen“) oder Gabriele Prohaska (in „Momina Bibi“). 

Tuserkanis Jugend

Djahan Tuserkani wurde in Teheran, Iran, am 10. Juli 1936 geboren. Das Dorf befindet sich in einer wunderschönen Landschaft und wird von einem Berg (siehe Foto aus Tuserkanis Kindheit) dominiert. Der Vater, Djavid Tuserkani, war hoher Offizier in der iranischen Armee unter Mohammad Reza Pahlavi. Als Offizier wurde er zu verschiedenen Regimentern beordert, was einen häufigen Umzug der Familie nach sich zog. Aber die Basis der Familie war immer das Dorf und später auch ein Haus im nördlichen Teheran. 

 

Djavid Tuserkani liebte es auf seiner Violine zu spielen, hörte auch klassische Musik und besuchte gerne eine „Bashka“ (ein bürgerlicher Club), wo auch der kleine Djahan fallweise mitkommen durfte. In einer Pashka in der Stadt Täbris, wo die Familie eine Zeitlang wohnte, hörte Djahan zum ersten Mal ein Garmon, eine Knopfharmonika aus dem Kaukasus. Dieses Instrument begeisterte ihn. Sein Vater genoss diesen Enthusiasmus und kaufte für den kleinen Djahan ein Garmon. So lernte Djahan mit 7 Jahren sein erstes Instrument. Unterrichtet wurde er von einem Armenier. Er machte gute Fortschritte und konnte bald auch Lieder gemeinsam mit seinem Vater spielen. Die Mutter genoss es, wenn die beiden musizierten und tanzte immer wieder kokett dazu. Nach etwa einem Jahr erstand Tuserkanis Vater in Teheran ein rotes, glänzendes italienisches Akkordeon. Djahan hatte „sein“ Instrument gefunden! Er übte viel und spielte mit Begeisterung. 

Musikalische Entwicklung

Am Konservatorium in Teheran begann Djahan mit 9 Jahren unter Luna Alcalay Klavier zu studieren. Der Chauffeur der Familie brachte den jungen Musiker regelmäßig vom Gymnasium ins Konservatorium. Nach Farsaneh studierte Djahan bei dem Komponisten Morteza Hannaeh, der sich auch intensiv mit Neuer Musik beschäftigte. Er wurde zu einem der prägendsten Lehrer für Djahan Tuserkani. Sein Klavierstudium setzte Tuserkani mit Amanuel Malekaslaniate fort und schloss 1954,  gleichzeitig mit dem Gymnasium auch sein Studium am Teheraner Konservatorium mit einem Diplom in Klavier, Akkompagnement und Harmonielehre ab. 


Politisierung

Am Konservatorium gab es viele Armenier und unter diesen, zahlreiche links gerichtet Studenten. In seinem Schreibpult fand Tuserkani immer wieder Flugblätter und agitatorische Zeitungen – die unter dem Schah-Regime natürlich verboten waren –, die ihm eine neue Weltsicht eröffneten und die die Ursachen der Ungleichheit und breiten Armut beim Namen nannten und die Strukturen der Klassengesellschaft in Persien offenlegten. Diese politische Theorie fand der in sehr bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsene Tuserkani bei seinen häufigen Besuchen im Heimatdorf augenscheinlich bestätigt. 

 

Zu dieser Zeit, genau von  1951 bis 1953 war Mohammad Mossadegh Premierminister des Iran. Er war beim einfachen Volk sehr beliebt. Der Nationalist und Humanist führte Sozialreformen durch und verstaatlichte die Erdölindustrie. Das schuf ihm unter den Besitzenden im Inland und auch im Ausland, vor allem in den im Iran tätigen britischen und amerikanischen Ölkonzernen, mächtige Feinde. Mossadegh verordnete u.a. per Gesetz, dass 20 Prozent der Ernte den die Felder bewirtschaftenden Bauern gehören sollten, die selbst kaum eigenes Land besaßen. In seinem Dorf organisierte der 17jährige Tuserkani eine Blockade der Getreidetransporte, um damit den 20-Prozent-Anteil einzubehalten. Er wurde vom Bruder des Landbesitzers „abgeführt“ und im Jeep weggebracht. Beim Halt an einer Tankstelle pinselte er rasch auf die weißen Mauern „Nieder mit dem Schah!“ worauf er nur knapp der Erschießung durch anwesenden Soldaten entging. Spätestens ab diesem Zeitpunkt stand Tuserkani auf der Verdächtigenliste des berüchtigten iranischen Geheimdienstes (später SAVAK). 

Nach Abschluss des Konservatoriums fand Djahan Tuserkani als Pianist und Akkordeonist eine Anstellung im Orchester von Radio Teheran. Ab 1959 war Tuserkani freiberuflich beim ersten privaten Fernsehsenders Sabet Pasal in Teheran als Gestalter von musikalischen Jugendprogrammen tätig. Dieser liberale TV-Sender wurde vom jüdischen Industriellen Sabet Pasal gegründet und erlaubte Tuserkani u.a. auch kritische Lieder zu präsentieren, wobei die Kritik in dadaistische Texte verpackt wurde.  

Gegen Ende der 1950er Jahre spielte Tuserkani auch in Jusef Sades Orchester. Sade hatte Tuserkani bereits als Hauslehrer unterrichtet. Zu dieser Zeit legte der junge Musiker auch seine ersten Kompositionen vor. Sade fand Gefallen an Tuserkanis Werken und brachte einige davon zur Aufführung. Auch im Sender von Sabet Pasal wurden die Werke übertragen. Zu dieser Zeit leitete der österreichische Dirigent Haymo Täuber das Teheraner Symphonieorchester, das bereits 1937 gegründet worden war. Täuber leitete das Orchester von 1957 bis 1960 und kannte den Schah persönlich. Reza Pahlavi hatte Täuber nach Teheran engagiert. Dort gründete der Dirigent auch einen Chor für das Symphonieorchester, in dem Tuserkani als Sänger (Bass) mitwirkte. U.a. wurden Werke von Morteza Hannaneh zur Aufführung gebracht.

Während dieser Zeit unterrichte Djahan Tuserkani auch Musik an Elementarschulen, wo er sich aber weigerte, die vorgeschriebene Hymne auf den Schah mit den Kindern einzustudieren. Da der SAVAK bereits auf ihn aufmerksam war, erschien bald ein Schulinspektor im Unterricht des Musikers, um die Hymnen abzuprüfen. Die Konsequenz aus Tuserkanis Verhalten war die Entlassung aus dem Schuldienst und Inhaftierung. Nach seiner Freilassung wurde der Komponist mit einem Berufsverbot belegt.  

Anfang der 1960er Jahre gab es immer häufiger Demonstrationen gegen das autoritäre Schah-Regime. Bei einer dieser Demos vor dem Bazar in Teheran wurde Tuserkani erneut verhaftet und abgeführt. Beim Verhör im Keller der Polizeistation wurde Tuserkani geschlagen, um ihm die Namen seiner Mitstreiter heraus zu pressen.  Djahan Tuserkani wurde 1961 ins berüchtigte Teheraner Gefängnis geworfen. Nach seiner   Freilassung  Ende 1963 verließ Tuserkani sofort den Iran verließ und setzte sich in Sicherheit nach Österreich ab. Aber das Ankommen in diesem völlig fremden Land war für den jungen Komponisten alles andere als einfach.

Nach schweren Monaten gelang es dem jungen Musiker 1965 an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien seine im Iran begonnene Musikausbildung  fortzusetzen. In den Jahren 1965 bis 1975 studierte er bei Alfred Uhl und Roman Haubenstock-Ramati Komposition, bei Paul Kont Medienkomposition und bei Dieter Kaufmann Elektroakustik (ELAK). Sein Leben fristete der Musiker während seines Studiums mit Gelegenheitsjobs.

In den 1990er Jahren bekam Tuserkani eine Anstellung als Musikpädagoge in einem Wiener Gymnasium, zuerst in der Schopenhauerstraße und schließlich in der Polgargasse, wo er bis zu seiner Pensionierung wirkte. 

Nachklang

Leider wurden einige seiner Werke bis heute nie aufgeführt, darunter die Oper „Stein der Weisen“ von 2003, die Taschenoper „Hure Welt“ von 1997, die „Hommage an RHR“ (Roman Haubenstock-Ramati) von 1996, das Chorwerk „Meine Generation“ von 1995 sowie die lyrische Suite „Solutio“ von 1996. Solutio, ein heiteres Musiktheater, basiert auf den Liebesbriefen von Alban Berg an Anna Fuchs. 

Am 10. März 2022 wurde in Radio Österreich 1 (Ö1) in der Sendereihe Zeit.Ton erstmals  ein Komponistenportrait, gestaltet von Marie-Therese Rudolph gesendet.

Veröffentlichungen


"Resistance" (1999)
CD mit 7 Werken von Djahan Tuserkani
> CD Booklet

"Klanggesetz" (2002)
CD der Initiative Minderheiten
zum  Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages
> CD Booklet

Ö1-Komponistenportrait

Am 10. März 2022 sendet ORF Ö1 ein Portrait von 
Djahan Tuserkani in der Sendereihe Zeit.Ton
Moderation: Marie-Therese Rudolph

Politisch wachsam

Politik und Musik bestimmen Djahan Tuserkanis Leben bis ins hohe Alter. Er nimmt an Lesungen teil, engagiert sich bei Gedenkveranstaltungen und demonstriert für Gerechtigkeit und Menschenrechte.

Das Bild zeigt Djahan Tuserkani beim Hiroshima-Gedenken am
6. August 2022 in Wien.


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